Die Entscheidung im Monat Mai 2020 für Arbeitnehmer

Ordentliche Kündigungen außerhalb des Geltungsbereichs des KSchG

Orientierungssätze (gekürzt)

  1. Eine Kündigung verletzt nur dann das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden und ist damit sittenwidrig i.S.v. § 138 Abs. 1 BGB wenn dem Verhalten des Kündigenden nach den Gesamtumständen eine besondere Verwerflichkeit innewohnt.
  2. Eine arbeitgeberseitige Kündigung verstößt nur dann gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind.
  3. Im Rahmen der Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB ist der objektive Gehalt der Grundrechte zu berücksichtigen. Es geht vor allem darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen.
  4. Eine Kündigung erfolgt nicht willkürlich, wenn sie auf einem irgendwie einleuchtenden Grund beruht. Zur Vermeidung der Sitten- oder Treuwidrigkeit der Kündigung bedarf es nicht der vorherigen Anhörung des Arbeitnehmers.

Die Ausgangslage

Arbeitnehmer sind oftmals durch das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) vor ordentlicher Kündigung geschützt. Diesen Schutz genießen aber nur diejenigen Arbeitnehmer, die sechs Monate in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung tätig waren und wenn in dem Betrieb in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer (ohne Auszubildende) beschäftigt sind. Es können sodann nur Kündigungen ausgesprochen werden, die sozial gerechtfertigt sind durch Gründe, welche in der Person oder des Verhaltens liegen oder auf dringenden betrieblichen Erfordernissen beruhen.

Arbeitnehmer, die in kleineren Betrieben beschäftigt sind oder noch keine sechs Monate Betriebszugehörigkeit haben, sind zwar auch an die dreiwöchige Klagefrist des KSchG gebunden (!), darüber hinaus findet das KSchG jedoch keine Anwendung. Sprich, der Arbeitgeber kann ohne Vorliegen von personen-, verhaltens-, oder betriebsbedingten Gründe kündigen. Erhält der Arbeitnehmer eine Kündigung so ist er dennoch nicht gänzlich schutzlos. Kündigungen können auf Sittenwidrigkeit i.S.v. § 138 Abs. 1 BGB und den Verstoß gegen Gesetze, § 134 BGB, oder den Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB, überprüft werden.

Sachverhalt

Bei der Arbeitgeberin waren zwei Frauen als Nannys/Kinderfrauen beschäftigt. Da eine Nanny selbst kündigte dachte die Arbeitgeberin darüber nach einen Ersatz einzustellen und ließ eine Aspirantin Probe arbeiten. Die zweite Nanny erhielt in der Folgezeit eine Kündigung und erhob hiergegen Klage. Sie erachtete die Kündigung als sitten- und treuwidrig..

Die Arbeitnehmerin trug vor: Zu der Kündigung sei es gekommen, da die Aspirantin der Arbeitgeberin wahrheitswidrig mitgeteilt hatte, dass sie (die Arbeitnehmerin) behauptet habe, dass die Arbeitgeberin nie zu Hause sei, sich immer in ihrem Zimmer einschließe und, wenn sie einmal daheim sei, nur Schokolade mit ihrer Tochter esse. Die Arbeitgeberin habe sich deshalb in ihrer Mutterrolle kritisiert und in ihrer Eitelkeit verletzt gefühlt, obwohl sie gewusst habe, dass diese Behauptungen im Kern wahr und deshalb von der Meinungsfreiheit gedeckt seien. Die Arbeitgeberin habe sich aus Rachsucht und um Mittel für eine Anstellung der Aspirantin freizumachen von ihr trennen wollen.

Die Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seiner Entscheidung nochmals die hohen Hürden betont, die überwunden werden müssen um außerhalb des KSchG eine Unwirksamkeit der Kündigung durchzusetzen. Eine Kündigung ist nämlich erst dann sittenwidrig i.S.v. § 138 Abs. 1 BGB ist, wenn sie nach ihrem Inhalt oder Gesamtcharakter, dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht. Liegt kein Verstoß gegen die grundlegende Rechts- oder Sittenordnung vor, so muss das persönliches Handeln, also der Ausspruch der Kündigung, eine besondere Verwerflichkeit in sich tragen.

Eine Kündigung verstößt auch nur dann gegen § 242 BGB, wenn sie Rechte, Rechtslagen und Rechtnormen aus Gründen verletzt, die nicht schon von § 1 KSchG erfasst sind. Im Rahmen der Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB ist auch immer der objektive Gehalt der Grundrechte zu berücksichtigen. Es geht jedoch vor allem darum, Arbeitnehmer vor Kündigungen zu schützen, die auf willkürlichen oder auf sachfremden Gründen beruhen. Bezüglich dessen hat das Gericht entschieden, dass Willkür schon ausscheidet, wenn ein irgendwie einleuchtender Grund für die Kündigung vorliegt. Einen nachvollziehbaren Grund hat das Gericht im vorliegenden Fall als gegeben angesehen aufgrund der Kritik an der Mutterrolle der Arbeitgeberin. Ob die Kritik der Nanny wahr oder vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt war, spielte keine Rolle: Dass die Mutter keiner solchen Kritik ausgesetzt sein wollte, hatte mit Rachsucht oder Willkür nämlich nichts zu tun.

Das Gericht stellte klar, dass auch keine Sitten- oder Treuwidrigkeit vorlag, nur weil die Arbeitnehmerin vor Ausspruch der Kündigung keine Gelegenheit zur Stellungnahme hatte. Dies sei keine Wirksamkeitsvoraussetzung.

Unser Tipp:

Arbeitnehmer, welche nicht vom KSchG geschützt werden, sollten sich bewusst sein, dass sie leichter gekündigt werden können und auch negative Äußerungen über den Arbeitgeber – selbst wenn sie wahr sind – zu einer Kündigung führen können. Es lohnt sich jedoch auch für diese Arbeitnehmer bei einer Kündigung genau hinzuschauen, ob der Arbeitgeber tatsächlich einen nachvollziehbaren Grund hatte oder gegen Gesetze verstoßen hat. Denn obwohl die Nanny den Rechtsstreit verloren hat, zeigt die Entscheidung, dass jeder Sachverhalt ein Einzelfall ist. Geben Sie sich nicht vorschnell geschlagen!

Falls Sie Hilfe benötigen: Wir sind für Sie da.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 05.12.2019 – 2 AZR 107/19 –

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