Die Entscheidung im Monat Januar 2020 für Arbeitnehmer

Zugang einer Kündigungserklärung bei Einwurf in den Hausbriefkasten

Leitsätze

  1. Eine verkörperte Willenserklärung unter Abwesenden geht gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen.
  2. Zum Bereich des Empfängers gehört ein von ihm vorgehaltener Briefkasten. Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den „gewöhnlichen Verhältnissen“ und den „Gepflogenheiten des Verkehrs“ zu beurteilen.

Die Ausgangslage

Jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Endet das Arbeitsverhältnis und kann der Urlaub bis zum Ausscheiden nicht (vollständig) genommen werden, ist der Resturlaub finanziell abzugelten (§ 7 Abs. 4 BUrlG). Aber Achtung: Der Abgeltungsanspruch ist ein Geldanspruch. Greift daher eine vertragliche oder tarifliche Ausschlussfrist, muss der Anspruch fristgerecht geltend gemacht werden. Ansonsten verfällt der Anspruch ersatzlos.

Sachverhalt

Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27. Januar 2017. Das Kündigungsschreiben wurde an diesem Tag gegen 13:25 Uhr in den Hausbriefkasten des Arbeitnehmers eingeworfen. Der Arbeitnehmer hat am 20. Februar 2017 Kündigungsschutzklage erhoben und geltend gemacht, die Kündigung sei ihm nicht am 27. Januar 2017 sondern frühestens am Folgetag (Samstag) zugegangen. Die Klage sei daher am 20. Februar 2017 (Montag) rechtzeitig eingereicht worden.

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die Klage wegen Versäumung der Klagefrist abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat dabei entschieden, dass Schriftstücke, die in den Hausbriefkasten eines Arbeitnehmers bis 17:00 Uhr eingeworfen werden, nach den gewöhnlichen Verhältnissen noch am selben Tag zugehen.

Diese Begründung hat das Bundesarbeitsgericht nicht gelten lassen. Die Revision hatte Erfolg!

Die Entscheidung

Ein Kündigungsschreiben geht zu, sobald es in die Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und dieser unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit hat, hiervon Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehört auch sein Briefkasten. Bei Einwurf in einen Briefkasten geht ein Schreiben zu, sobald mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist.

Wichtig: Es kommt dabei nicht darauf die individuelle Situation des Empfängers an sondern es gilt eine generalisierende Betrachtung. Wenn die Möglichkeit der Kenntnisnahme unter gewöhnlichen Verhältnissen besteht, ist es unerheblich, ob der Empfänger z. B. durch Krankheit oder Urlaub zeitweilig verhindert ist. Den Empfänger eines Schreibens trifft die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen für eine Kenntnisnahme zu treffen. Unterlässt er dies, geht ihm das Schreiben trotzdem zu!

Das Landesarbeitsgericht hätte also prüfen müssen, wann nach der Verkehrsanschauung am Wohnort des Arbeitnehmers mit der Entnahme des Schreibens aus dem Hausbriefkasten zu rechnen war. Die allgemeine Annahme einer Leerung des Hausbriefkastens bis 17:00 Uhr ist nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts willkürlich. Das Bundesarbeitsgericht hat das Verfahren daher an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Den Zeitpunkt des Zugangs am 27.01.2017 wird hier übrigens der Arbeitgeber beweisen müssen, denn dieser beruft sich auf den Zugang an diesem Tag!

Achtung: Alle obigen Grundsätze gelten auch umgekehrt, also z. B. für (Kündigungs-)Schreiben eines Arbeitnehmers! Zur Wahrung einer (Kündigungs-)Frist muss auch das Schreiben des Arbeitnehmers dem Arbeitgeber rechtzeitig zugehen.

Das Bundesarbeitsgericht hat insbesondere klargestellt, dass ein fristwahrender Zugang nicht immer bis 24:00 Uhr möglich sein muss. Selbst wenn eine Frist gesetzlich um 24:00 Uhr endet, kommt es auf den rechtzeitigen Zugang beim Empfänger an, d.h. auf die Möglichkeit zur Kenntnisnahme. Diese endet (meistens) schon vor 24:00 Uhr.

Unser Tipp: Wenn Sie eine Frist wahren müssen, handeln Sie nicht „auf den letzten Drücker“ ! Aber im Notfall kann es sich lohnen, den genauen Zeitpunkt des Zugangs zu klären, um keine Rechte zu verlieren.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.08.2019 – 2 AZR 111/19 –

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